Jörg Stamm baut Brücken und Häuser aus Bambus in aller Welt

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(Vorwort des Heimatvereins)

Der 1962 in Drolshagen geborene Jörg Stamm ist ein wahrer Weltbürger. Sein eigentlicher Wohnsitz ist zwar seit über 25 Jahren in Kolumbien/Südamerika – doch seine beruflichen Aktivitäten erstrecken sich über den ganzen Erdball, ist er doch ein weltweit gefragter Experte im Bauen mit Bambus. Seine Talente zum Werken und Bauen mit Holz zeigte sich wohl schon als Sohn eines Bauunternehmers in seiner Kindheit, wie dieses Foto beweist: er auf einer selbstgebauten Brücke über den Rosebach im Fredebruch. Nach seiner Schreinerlehre ging es dann in die weite Welt...

Doch lassen wir ihn selbst erzählen, denn das kann er sehr lebhaft! Drolshagener Weltoffenheit und Freiheitsliebe sowie experimentierfreudiges Anpacken stehen uns hier plastisch vor Augen. Den ersten Bericht hat er 2005 für das Projekt des Heimatvereins „Drolshagener in aller Welt“ geschrieben und den zweiten im April 2020.


Hier sein Bericht von 2005:

Damals, - in den Siebzigern -, habe ich schon Buden und Brücken gebaut, sicherlich zum Leidwesen der Förster und Waldbesitzer. Richtige Schneisen habe ich in die Schonungen gehauen, um aus den schlanken Fichtenstämmen die Baumbuden im alten Steinbruch am Schmierhagen zu zimmern. Das hat Spaß gemacht, da haben wir von der Alten Landstraße unsere Ritterburg gehabt und in regelrechten Tannenzapfenschlachten gegen die Bande von Linders Eckhardt aus „Klein-Moskau“ gekämpft. Mit Pfeil und Bogen wurde Robin Hood gespielt und hinter der Alten Mühle Zugbrücken über den Rosebach gebaut. Ich will lieber gar nicht nachrechnen, wie viele Kilo Nägel ich verkloppt habe, wie viele Bohlen von Vatter Stamms Bauhof dort vergammelt sind oder von der nächsten Frühjahrsflut weggerissen wurden.

Wer hätte damals gedacht, dass diese gespielte Welt immer noch existiert, nur dass daraus hier in Kolumbien mittlerweile mein Alltag geworden ist. Heute baue ich aus den hier fast als Unkraut wachsenden Bambusstangen neue Häuser, Schulen und Brücken. Einige meiner Arbeiter waren fleißige Lehrlinge und haben jetzt schon ihre eigenen Bambus-Bauunternehmen.

Wie kommt es, dass gerade aus Drolshagen relativ viele Missionare stammen und neuerdings auch Handwerker in aller Welt arbeiten? Erst recht fragt man sich, wie kommt denn solch ein Drolshagener Bengel gerade nach Kolumbien? Wou is dat dann übberhaupt? Schuld daran ist sicher die Kirche, - was haben wir denn auch sonst gemeinsam? Vielleicht hab ich’s aber auch mit meiner Heimatverbundenheit damals übertrieben. Ich erinnere mich gerne an die Volkshochschule mit Felix Stahlhacke, Hubertus Halbfas und die Erntefeste in der Wünne. Denn da war ich recht aktiv in der KJG. Bei Sommerlagern, später bei Pfarrfesten, sogar im Pfarrgemeinderat war ich voll dabei. Hab mich für Befreiungstheologie interessiert und sogar Publik-Forum abonniert. Damals schon haben mich unsere beiden Missionare, Hermann Stahlhacke und Laurus Schwarte fasziniert, und es hätte nicht viel gefehlt, da wäre ich sogar bei den Franziskanern eingestiegen... Nur gut, dass vorübergehend eine nette Olperin dazwischen gekommen ist.... Nach dem Zivildienst bei der Caritas in Attendorn bin ich dann zwar aus dem katholischen Club ausgeschieden, habe mich aber weiterhin sozial engagiert.


Wenn ich so darüber nachdenke, warum so manch Drolshagener in die Weite Welt gegangen ist, dann sicher auch deswegen, weil es im netten, kleinen, erzkatholischen Drolshagen doch reichlich eng ist und man also irgendwann einen gewisser Überdruck an sozialer Kontrolle empfindet. In meinem Falle gab es jedenfalls mal solch eine Phase,- nach dem Abitur-, da bin ich erst in Deutschland und dann im ganzen freien Europa herumgetrampt, um mal zu sehen, was es denn auf der Welt sonst noch gibt.

Durch einen sympathischen Nachbarn von der Südstraße namens Boris Rodriguez habe ich dann Vertrauen gefunden, auch mal in die damals noch sogenannte „Dritte Welt“ zu reisen. Mit der Abfindung von anderthalb Jahren Behindertenbetreuung gings dann zum ersten Mal über den großen Teich. In Peru, bei Rodriguez’ Schwester, fing ich an Spanisch zu lernen, und dabei hab ich gesehen, das die Mütter anderer Völker auch schöne Töchter haben. Aber auch dort gilt: Ohne Knete keine Fete, also musste ich wieder zurück in die Heimat und legte erst mal wieder die Füße unter den Tisch.

Nur gut, dass sich das meine Eltern nicht lange gefallen ließen, also gings weiter in die Lehre, um wenigstens etwas Praktisches zu lernen. „Uni“ kam damals nicht in Frage, denn nach 15 Jahren (13 fürs Abitur + 1½ als Zivi bei der Caritas in Attendorn) auf verhassten Schulbänken dachte ich eher ans „Budenbauen“ als an die Akademie.


Dazu kam, dass ich während der Lehre eine Zwischenstation als Affenforscher in Madagaskar eingelegt hatte. Ein Biologe, Bernhard Meier aus Grevenbrück, hatte mich als Französisch-Dolmetscher und Feldassistenten für seine Doktorarbeit in der Primatenforschung engagiert. Er hatte wohl den Sauerländer „Budenbauer“ für sein wissenschaftliches Abenteuer im Dschungel für lebenswichtiger angesehen als Musterstudenten mit zwei linken Händen. War auch gut so, jedenfalls bekam ich in den nächsten 6 Monaten ein intensives Biologiestudium und hatte die Ehre, zwei neue Affenarten mit zu entdecken. So habe ich den damaligen Traum eines jeden Biologiestudenten, einmal im Leben eine neue Art zu beschreiben, bereits gelebt. Schlussfolgerung: wozu da noch jahrelang studieren?!

Naja, zuhause gilt das natürlich nichts, nach dem Motto: ohne Titel - keine Mittel, musste ich dann erst mal die Schreinerlehre hinter mich bringen. Damals galt das Vorurteil (wobei sie auch Recht haben), dass Abiturienten für den Lehrherrn reine Zeitverschwendung sind. Erstens fragen die zu viel und zweitens hauen die sowieso wieder ab. Vielleicht hatten die Dräulzer Schreinermeister auch nur Angst um Ihre netten Töchter, - so sprang ich dann wieder mal dem Schicksal von der Schüppe und ging nach Olpe. Na und dann kamen die Gesellenjahre, - hei, das war ’ne Party! Ordentlich Geld auf der Tasche, noch jung und hübsch, ... und abenteuerlustig. Nach ein paar Jahren Wanderschaft gings wieder zurück nach Drolshagen, es wurde ein bisschen herumgeschreinert, aber irgendwie wurde mir Drolshagen zu muffig. Oder ich mir selbst? Alles war plötzlich anders. Die meisten meiner Freunde hatten geheiratet, haben feste Verpflichtungen, Hausbau, Ehekrisen..., und das schlimmste von allem: in Drolshagen begann das große Kneipensterben, - jahrhundertalte Bräuche sind vom Aussterben bedroht.


Ich muss sagen, dass mir die gesellige Sauferei im katholischen Drolshagen doch so was wie Gemütlichkeit und Geborgenheit gegeben hat und auch die soziale Enge ein bisschen lockerte. Man kennt ja bei uns die armen Burschen aus dem lutherschen Umland (ehemalig feindliches hessisches und bergisch-märkisches Ausland), wenn die sich zu Karneval in Drolshagen erholen. Diese herrliche katholische Lebensfreude (manche sagen Doppelmoral) hat mir später im katholischen Südamerika das Zusammenleben sehr erleichtert, die Norddeutschen tun sich hier erheblich schwerer. Die Gastfreundlichkeit in Drolshagen und auch auf dem Olper Schützenfest wurde von meinen gelegentlichen, meist internationalen Gästen immer sehr gelobt. Da war erstaunlicherweise nie etwas von Fremdenhass und kühler deutscher Distanz, vielleicht haben wir noch ’ne Menge frohes lateinisches Erbe aus kurkölnischen Zeiten oder aus der Zisterzienser-Subkultur, aus der ja im 17. Jahrhundert auch mal von ’ner schwangeren Äbtissin zu berichten war.

In den langen Winterhalbjahren bin ich viel gereist. Im Sommerhalbjahr gab’s immer Arbeit und schwarz bezahlte Überstunden, von denen ich meist nach Weihnachten ein Flugticket kaufte und in den tropischen Süden reiste. Mal gings zu Pater Lauro (Schwarten Johannes) nach Recife in Brasilien, mal zu Johannes Niggemeier in die „Favelas“ von Rio de Janeiro, mal zu Heinz Stachelscheid nach Ecuador, jedenfalls immer in ein neues Land, zu neuen Sprachen, neuen Mentalitäten - denn die Latinos sind so unterschiedlich, wie die Europäer unter sich. Die Latinas dagegen fand ich überall gleich sympathisch, und so dauerte es auch nicht lang, bis ich mich festgeküsst hatte. Und jetzt bin ich schon 12 Jahre glücklich verheiratet, wo gibt’s so was noch?


Meine Eltern und die meisten meiner Geschwister waren sogar schon mal hier in Popayan, einer historischen Kleinstadt im Süden Kolumbiens. Umgeben von immergrünen saftigen Weiden liegt das Städtchen inmitten der beiden Kordilleren, deren Vulkangipfel bis 4800 Meter raufgehen. Das Klima ist morgens angenehm wie in unserem Frühjahr, mittags ist Hochsommer und nachmittags regnet es meistens ein bisschen. Abends kommen dann die kühlen Winde von den Bergen und man muss schon mal einen Pullover anziehen, oder sich mit ein paar Freunden und ’ner Flasche Rum vom Arbeitstag erholen. Ganz in der Tradition meiner Familie habe ich hier ein kleines Bauunternehmen mit angeschlossener Zimmerei und neuerdings auch Schreinerei. Hier wächst ein 25 Meter langer Riesenbambus, Guadua genannt. Damit lässt sich genauso bauen wie damals auf dem Schmierhagen, nur dass mein Vater heute den Flurschaden nicht mehr bezahlen muss, denn das Zeug wächst 12 cm pro Tag und gilt als naturfreundlicher Baustoff.

Auf der Wanderschaft hatte ich die historischen Holzbrücken bewundert, und heute baue ich in deren Tradition hier bis 40 Meter lange, ziegelgedeckte Bambusbrücken zu durchaus konkurrenzfähigen Preisen. Angefangen hat diese Bambusbauerei nach einem Erdbeben in einem Andental. Eine 20 Meter hohe Schlammlawine, getriggert durch das Beben, hatte Häuser, Schulen und Straßen weggeschwemmt, 2.000 Personen sollen damals umgekommen sein, 120.000 waren obdachlos geworden. Moderne Baustoffe mussten eingeflogen werden, aber mit den lokalen natürlichen Rohstoffen wurde schon mal notdürftig wiederaufgebaut. Das hat dem noch vorhandenen natürlichen Waldbestand nicht gutgetan, und wir entwickelten dann mit dem nachhaltig nutzbaren Riesenbambus ein neues Bausystem. Mehrere Brücken, Schulen und Gemeindezentren habe ich in der Folgezeit gebaut.

Glücklicherweise waren die Baubehörden anfangs sehr tolerant und nach relativ kurzer Zeit von „Versuch und Irrtum“ wussten wir, wie mit den Stangen zu arbeiten war. Die notwendigen technischen Daten wurden mit Hilfe der Aachener Universität, vom Institut für Tragwerkslehre nachgeliefert, mit der mich Sondermanns Henrik in Verbindung gebracht hatte. Heute gibt es eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl und wir veranstalten einmal im Jahr einen „Bambus- Workshop“, um diese Öko Architektur weiterzuentwickeln. So bin ich doch noch an die „Uni“ geraten, und gelegentlich finanziert von GTZ, UNO oder Europäischer Union, fliege ich mittlerweile in der halben Welt herum, um dieses Wissen in Theorie und Praxis auch in anderen tropischen Ländern zu unterrichten. So bin ich noch zu einer Art „Missionar“ geworden, glücklicherweise aber kann ich meine Frau manchmal mitnehmen, denn die moderne Entwicklungshilfe ist nicht mehr zölibatär organisiert.

Brücke von Pereira

So steh ich denn ganz in der Tradition der Zisterzienserinnen, die ja vor 800 Jahren die Zivilisation nach Drolshagen brachten. Oft denke ich zurück an die Terrassen auf den Feldern an der Südstraße, denke an die Hohlwege aus dem Mittelalter und die Lebensbedingungen der Menschen, die in dem unwirtlichen Tal versuchten, die Waldgrenze nach oben zu schieben. In Kolumbien kann man so manches davon nachvollziehen, denn hier hat man kein langweiliges Leben. Ich bin auf den Ellbogen durch mittelalterlich anmutende Zinnbergwerke gekrochen, habe Brücken in Gegenden gebaut, wo das 17. Jahrhundert noch allgegenwärtig ist. In den Bergen sitzen immer noch Räuber und spielen Robin Hood, werfen allerdings mit Handgranaten statt mit Tannenzapfen. In den Städten und den Gebieten mit asphaltierten Straßen ist man zwar in dieser Hinsicht sicherer, allerdings sollte man nicht so schnell fahren, denn die korrupten Staatsangestellten klauen die Steuern, und deshalb sind die Straßen voller Löcher. Andererseits sitze ich hier in Popayan in der Hängematte, mit meinem Laptop auf dem Schoß, wohne in einem modernen Haus, wie es genauso gut am Hüsterberg stehen könnte. Mit Breitband-Internetanschluss und Kabelfernsehen ist die gebildete Mittelschicht Kolumbiens genauso gut an die erste (und die gesamte) Welt angeschlossen wie jeder Drolshagener auch. Manch einer nutzt das und studiert fleißig. Es gibt pfiffige Leute und ich habe hoch motivierte Arbeiter, die man im Deutschen Handwerk nicht mehr oft findet. Außerdem kann man noch bauliche Experimente machen, die in Deutschland weder bezahlbar, noch aus Genehmigungsgründen möglich sind. Hier gibt es die Freiheit, die ich meine, wenn sie auch manchmal in die Anarchie abdreht.


Ab und zu, meist einmal im Jahr, habe ich die Möglichkeit auf meinen Reisen in Deutschland zwischenzulanden. Ich komme gerne nach Drolshagen, es ist noch immer meine Heimat, denn so ganz warm werde ich hier doch nicht. Aber noch halt ich’s aus hier unten im Paradies (oder im Busch ), - wer weiß, ob ich mich nochmal irgendwann an das stramme Regelwerk in Deutschland doch noch gewöhnen muss. Manchmal kommen mir dennoch die Tränen, besonders wenn mich mein Vater fragt: „Warum bis´te denn immer noch da unten, hier in Drolshagen isset doch sooooo schööön?“